Handelsmarken haben eine lange Tradition auf dem deutschen Konsumgütermarkt. Schon in den 1930er und 40er Jahren begannen Einzelhandelsketten neben den bekannten Marken weltweiter FMCG-Unternehmen wie Coca-Cola, Kellogg’s und Colgate ihre eigenen Produktlinien anzubieten. Der Wettbewerb um ‚Qualität zum Discountpreis‘ wurde noch intensiver mit dem Markteintritt der großen deutschen Discounter Aldi und Lidl. Im Jahr 2009 stellte das Fachmagazin Horizont daher fest, dass sich Handelsmarken nicht hinter ihren vermeintlich bekannteren Pendants verstecken müssen. Einige Beispiele sind Real Quality von Real mit einem Bekanntheitsgrad unter deutschen Konsumenten von über 75%, Gut & Günstig von Edeka mit 80% und Ja von Rewe mit sogar 90%.
Was bedeutet das nun für die Welt der Marken, die wir in der Marktforschung üblicherweise betrachten? Zwar werden Eigenmarken nie die riesigen Medienbudgets erreichen, die globale FMCG-Riesen in ihre Premiummarken investieren, aber die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte zeigen deutlich, dass heutige Marketer den Druck, den Handelsmarken ausüben, nicht länger ignorieren können. Dies betrifft nicht nur die Preisgestaltung, sondern auch die Tatsache, dass Handelsmarken bei den deutschen Verbraucherinnen und Verbrauchern gemocht werden und anerkannt sind.
Einzelhändler wie DM haben eine ganze Welt rund um ihr Einzelhandelserlebnis herum aufgebaut und damit die Vorlieben für ihre Eigenmarken wie Balea, DenkMit und Babylove enorm gestärkt. Infolgedessen haben Eigenmarken in vielen deutschen FMCG-Kategorien einen deutlich höheren Marktanteil als ihre internationalen Wettbewerber. Doch die Konsequenzen daraus für die verantwortlichen Managerinnen und Manager der weltweit größten Marken sind nicht immer klar.
Im Folgenden werden dazu drei Perspektiven näher beleuchtet:
1. Die Marktforschungs-Perspektive
Die Eigenmarke Babylove des Einzelhändlers DM verzeichnet eine wahre Erfolgsgeschichte in der Kategorie Babyprodukte. Die Verbraucherinnen und Verbraucher sehen diese Produkte nicht nur als kostengünstige Alternative zu großen Marken wie Pampers, Weleda und Hipp, sondern bauen auch eine emotionale Bindung zu diesen auf, was über viele Jahre hinweg ein reines Privileg großer Marken war.
Jede Marktforscherin und jeder Marktforscher, die oder der sich mit der Babyproduktkategorie und der Bedeutung sowie Stärke spezifischer Marken auseinandersetzt, sollte Babylove genauso ernst nehmen wie die etablierten Marken. Deshalb dürfen Handelsmarken im Marken-Setting von Marktforschungsanalysen nicht mehr außen vor bleiben. Statt nur eine allgemeine Einschätzung zu Handelsmarken abzugeben, sollten Befragungsteilnehmerinnen und -teilnehmer Handelsmarken genauso zur Bewertung vorgelegt bekommen wie internationale Marken. Datenmodelle, welche die Marktdynamik abbilden, müssen den Einfluss dieser Akteure einbeziehen. Analysen zur Markenstärke sollten sich nicht ausschließlich auf den Vergleich einiger weniger globaler Marken beschränken, da sonst Handelsmarken übersehen werden, die in Deutschland zu den stärksten Mitbewerbern zählen.
2. Die Sortiments-Perspektive
Wenn Sie im letzten Jahr in Edeka-Filialen nach Philadelphia Frischkäse gesucht haben, sind Sie möglicherweise mit einer Alternativmarke oder einem anderen Produkt nach Hause gegangen. Dies lag an einem Konflikt zwischen Edeka und dem globalen FMCG-Spieler Mondelez, der zu Engpässen bei Deutschlands beliebtester Frischkäse-Marke führte. Der Einzelhändler weigerte sich, den Preiserhöhungen von Mondelez zu folgen, da er diese in Zeiten sinkender Rohstoff- und Zutatenpreise als überzogen empfand. Ähnliche Auseinandersetzungen und Auslistungen haben auch andere Branchenführer in der Vergangenheit erlebt, daher ist der Mechanismus selbst in der FMCG-Welt nicht neu. Allerdings war die Verhandlungsmacht der deutschen Einzelhandelsketten noch nie so groß. Ihre Eigenmarken werden oft als starke Alternative angesehen und ohne großes Zögern gekauft. Dass diejenigen Unternehmen, welche die Handelsmarken im Auftrag der Händler herstellen, ebenfalls eine gewisse Macht in diesem Gefüge haben, sei an dieser Stelle sogar außen vor. Aber selbst ohne diese Perspektive werden die Verhandlungen der Markenhersteller allein durch die große Anzahl an Alternativen an Handelsmarken zunehmend schwieriger.
3. Die Perspektive des Markenmanagements
Aus unserer globalen Markendatenbank BrandZ wissen wir, dass Marken bedeutsam (Meaningful), andersartig (Different) und bei den Menschen mental präsent (Salient) sein müssen, um erfolgreich zu wachsen. Doch allzu oft liegt der Fokus in puncto Differenzierung auf den Hauptkonkurrenten eines bestimmten Marktes. Bevor Marken an direkte Wettbewerber denken, müssen sie ihr Differenzierungsmerkmal finden, also ihren Purpose, die Daseinsberechtigung, welche sie von anderen abhebt und durch jegliche Kommunikations- oder Medienaktivität gestützt wird. Eigenmarken mögen die Unterstützung des Ladengeschäfts bei der Sichtbarkeit im Regal und bei Werbeaktionen im Geschäft haben, aber sie werden wohl nie das erreichen, was andere Marken können: Eine Vorliebe im Kopf der Verbraucherinnen und Verbraucher erzeugen. Diese Prädisposition entsteht durch kontinuierliche Medienpräsenz, die die Marke in den Köpfen der Verbraucherinnen und Verbraucher zum Leben erweckt und sie über den reinen Einkaufsprozess hinaus begehrenswert macht. Der Kampf mit Handelsmarken kann nicht allein im Regal gewonnen werden, wo der Preis eine zentrale Rolle spielt und Einzelhandelsketten über starke Hebel verfügen. Er muss gewonnen werden, bevor Verbraucherinnen und Verbraucher überhaupt daran denken, das Produkt zu kaufen. Ist eine Marke in den Köpfen der Menschen präsent, unterscheidet sie sich von jedem anderen Angebot und ist sie in der Lage, eine bedeutungsvolle emotionale Bindung aufzubauen, dann stehen die Chancen gut, dass Konsumentinnen und Konsumenten diese Marke wählen (und nicht zur Eigenmarke greifen), sogar im Discounter-geprägten Deutschland.